Völker
Die Dirin (die Menschen)
Als die Féar einst nach und nach Kringerde erkundeten, unterschieden sie vier verschiedene Stammarten der Menschen. Doch sie nannten sie einheitlich dirin (Einzahl: dir), das ist „Krummgeborener“ oder „Krummsterblicher“. Gemeint war damit die Schnelligkeit, mit der die Dirin sich in ihren Augen erneut zur Erde bückten, um zu Asche und Staub zurückzukehren, eben: um zu sterben. Denn für die durch den Wechsel von Even nach Kringerde unsterblich gewordenen Féar unterschied sie dies am meisten von ihrer eigenen Art. So benannten sie die vier Stämme:
• Die Vindirin (Einzahl: Vindir)
Zu deutsch etwa „Braunsterblicher“, auch: „Ackersmann“. Die Vindirin waren die ersten Menschen, die von der hohen Kultur der Féar lernten.
• Die Arendirin (Einzahl: Arendir)
Zu deutsch etwa „Baumsterblicher“; vermutlich eine Anspielung auf den Waldreichtum Kolryns, ein altes Wort, das selbst „alter Wald“ bedeutet.
• Die Ledirin (Einzahl: Ledir)
Zu deutsch etwa „Gelbsterblicher“; vielleicht eine Anspielung auf die Hautfarbe, vielleicht auch auf die Ockerfärbung der Lederhäute, die die Ledirin als Kleidung trugen.
• Die Nodirin (Einzahl: Nodir)
Zu deutsch etwa „Schwarz- oder Dunkelsterblicher“; da die dunkle Hautfärbung ganz sicher das hervorstechendste Merkmal dieser Menschengruppe war, ist mit einiger Wahrscheinlichkeit der Begriff darauf zurückzuführen. Nicht ganz ausgeschlossen werden kann allerdings auch der Umstand, dass die frühen Nodirin ihre Körper vollständig mit Asche einrieben.
Die Vahatin (die Vahits)
Dieses Volk nimmt eine Sonderstellung ein. Hervorgegangen ist dieser kleinwüchsige Menschenschlag der Vahits aus der Verbindung von Vindirin mit Arendirin, wobei ein Umstand besondere Beachtung verdient. Denn die Vindirin brachten die Kunst des Tiumbacco-Schmauchens mit nach Kolryn. Als sie sich mit den Arendirin vermischten, zeigten die Kinder von regelmäßig schmauchenden Mischeltern-Ehen das Merkmal der Kleinwüchsigkeit. Dieses wurde missverstanden als ein böses Omen. Als es immer mehr von ihnen gab, setzte man sie aus, vertrieb sie aus Dörfern und wollte allgemein nichts mit diesen Missgeburten zu tun haben. Wobei die Missbildung allein in der zurückgehenden Körpergröße bestand; alle übrigen Körperproportionen blieben erhalten; es kam also nicht zu Missbildungen.
Nach und nach fanden die überlebenden Kinder zu kleineren und größeren Gemeinschaften zusammen, die immer weitere Kleinwüchsige anzog. Es zeigte sich, dass die erwachsenen Vahits untereinander Kinder bekommen konnten, aber auch diese behielten das Merkmal der Kleinwüchsigkeit bei. So entstand das Volk der Vahatin („die, die sich bewegen“, was die Vahatin selbst zu Vahits verkürzten); denn als der Bürgerkrieg endete und das Dritte Zeitalter begann, wurden sie aus ihrer angestammten Heimat vertrieben, die man jetzt Vindlian zu nennen begann. Die Silbe Vind lässt an die Vindirin denken; und tatsächlich verstanden sich die Vindliandirin vornehmlich als Bauern und Feldbesteller.
Die Vahatin zogen in den Jahren 10 bis
Die Gidwargim
Im Vergleich mit den Dirin, den Menschen, waren die Gidwargim untersetzt und sehr kräftig. Ihre Körpergröße lag bei etwa 150 bis höchstens 160 Zentimetern. Der auffallendste Unterschied waren ihre breite, muskulöse Brust, deren andere Rippenlage auf eine andere Atemweise und Belastbarkeit schließen lässt. Ihre im Vergleich zu den Armen eher kurzen Beine machte sie zu stämmigen Kämpfern, aber schlechten Läufern; ihre vorgewölbten Stirnen und ihr wuchernder, meist rötlicher Haarwuchs waren ihr auffälligstes Merkmal.
In ihrer Entwicklung lief ihr Volk den Menschen um viele Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende voraus; während die Dirin noch von der Jagd lebten und in Felle gehüllt sammelnd die Wälder und Savannen durchstreiften, entwickelten die Iaiškhaulim (sprich
In langsamen Luftschiffen – den Windbarken oder Iaišbulim (sprich
Auf dem Höhepunkt ihrer technologischen Entwicklung vervollkommneten die Wahren Meister der Gidwargim die Kristallbearbeitung und entwickelten sie zur Margathankhumschmiedekunst – im Jahr 430 der Endyaluëne, noch vor den Jahren der Unterweisung, die im Jahr 851 begannen und bis zum Jahr 1598 währten.
Die Féar
Das Volk der Féar rettete sich im Jahr 0 der Endyaluëne vor dem sicheren Tod ihrer Heimatwelt Even, indem sie einen unvergleichlichen Exodus vollführten. Binnen kurzer Zeit gingen ausnahmslos alle durch den Sphärengang, den Giranvor Amandros Almahon seinem Volk eröffnet hatte, nach Kringerde; eine Welt, die sie zunächst ilámen grendu nannten, auf deutsch etwa „Lichtenstein“.
Als das Weltentor unsicher wurde und nicht länger benutzbar, gelangte heimlich ein weiterer Fremder nach Kringerde: Lukather, den man später den Grausamen nannte. Aller fernerer Hass zwischen ihm und den Féar entsprang seinem Wunsch, Kringerde durch den Sphärengang über den unsicheren Weg nach Even wieder zu verlassen, und dem abschlägigen Bescheid, den ihm die Féar gaben.
Während Lukathers wütend fortzog, fassten die Féar auf Kringerde fuss. Der Erdteil, auf dem sie angekommen waren, erhielt den Namen Anglinême. Zu dieser Zeit wussten sie nichts von den Gidwargim, die ja größtenteils unter der Erde und tief unter den Bergen lebten ... es sollte 821 Jahre dauern, bis sie die ersten Iaišbulim oder Windbarken erblickten. Ein Jahr später starb der Wahre Meister Fárin Goldhand unter der Folter Lukathers, und die Féar und Gidwargim verbündeten sich gegen den Tyrannen.
Die größte Besonderheit des Féarvolkes aber ist, neben der Tatsache, dass sie von einer anderen Welt stammten, die Veränderung, die sie erlitten. Denn Kringerde verwandelte sie: aus Langlebigkeit wurde ununterbrochenes Leben, wurde Unsterblichkeit in dem Sinne, dass nur Unfall oder Waffengewalt einen Féar zu töten imstande waren. Selbst Krankheiten kannten die Féar nicht, mit einer Ausnahme: dies war cennem angnaur, zu deutsch etwa „Lichtkummer“. Gemeint ist damit das Schwinden der Fruchtbarkeit unter den Féar unter Ilars (der Sonne) Einfluss. Sinngemäß etwa „das vom Licht Genommene“. Von éan. angwe, „nehmen, greifen nach“ und éan. nauwe, „trauern“. Éanpelwe aber ist die Sprache des Evenvolkes, von éan. éanwe, dt. „sagen, sprechen“ und pelwe, dt. „hervorsprudeln, sprühen, verteilen“.
Als die Jahre der Unterweisung zu Ende gingen, verließen die Féar die Wohngebiete der Kolryndirin und kehrten nach Anglinême zurück. Bis zum Jahr
Die Gidrogs
Während des Zweiten Zeitalters (um das Jahr 1950 der Endyaluëne) bekriegte Lukather die Gruben der Gidwargim mit Macht. Da er die schwachen Menschen in seinen Diensten zunehmend verachtete, züchtete (wir würden heute sagen: klonte) er aus gefangenen Gidwargim die neue Art der Gidrogs. Sie wurden künstlich erschaffen, wurden aber zeugungsfähig und vermehrten sich rasch. In endlosen Scharen gingen sie in den Krieg und in den Tod. Glichen sie anfangs den Gidwargim noch in manchen Äußerlichkeiten, so haben die Gidrogs des Jahres
Für die Gidwargim ist die Existenz der Gidrogs ein Schandfleck sondergleichen, und sie schämen sich der Schande der damaligen Gefangenen, aus denen die Gidrogs hervorgingen oder richtiger hervorgezogen wurden.
Die ersten Gidrogs, derer man in Uvaithlian ansichtig wird, sind ausnahmslos Vogelreiter. Ihre Reittiere sind Criargs, gewaltige Raubvögel mit sechs bis sieben Metern Spannweite. Die Criargs sind allem Anschein nach abgerichtet, tragen Sättel und Zaumzeug mit vierfachen Zügeln und gehorchen den Befehlen ihrer Reiter.
Ob diese Großvögel natürlich entstanden sind oder ob sie eine durch Lukather vorgenommene genetische Weiterentwicklung des Urvogels argentaris magnificens darstellen, bleibt offen. Der argentaris magnificens jedenfalls wäre in der Lage gewesen, einen Menschen zu tragen, und es ist gut vorstellbar, dass sich Lukather dieser Tatsache bewusst war und sie sich dank seines hohen Wissens und Könnens auf irgendeine Weise zunutze machte.
Soweit bekannt, ernähren sich die Criargs von Fleisch; sie gleichen also nicht nur äußerlich den bekannten Raubvögeln. Sie scheinen Würmer ebenso wenig zu verschmähen wie Schafe, Ponys und Vahits. Ihre Augen sind scharf und nachtsichtig, ihre Klauen und Schnäbel sind tödliche Waffen.
Die Wrisilrhiobin
Noch vor den Gidrogs – gewissermaßen als Vorstufe – züchtete Lukather um das 1700 der Endyaluëne herum die Art der Wrisilrhiobin oder éan. Wrisann. Hierzu vermengte er „Menschenfleisch mit Bärenfleisch“ und schuf etwas Widernatürliches (er klonte, wie wir heute sagen würden, eine Rasse von Hybriden, die dennoch fortpflanzungsfähig waren).
Es handelte sich um doppelt bis vierfach mannsgroße Ungetüme mit einer aufrechten Höhe von bis zu 3,5 Metern bei einem Gewicht von etwa 600 kg.
Der Gang erfolgte auf zwei Beinen, aber sie gingen in aller Regel gebückt, als wollten die Arme immer wieder zum Boden greifen. Ihre Haut war wie halb abgeschabter Pelz von grauer Farbe, ihre Brust war fassförmig, ihre Beine glichen Säulen und ihre Arme setzten sie mitunter tatsächlich zum schnelleren Laufen ein. Ihr Gesicht war entfernt menschlich und verriet den Bärenanteil in ihnen: messerscharfe Zähne dräuten unter einer weithin witternden Nase. Die Hände waren menschenähnlich, die Fingernägel aber zurückgebildete feststehende Krallen: rund und spitz zulaufend und als Waffe todbringend. Ihre Sprachfähigkeit war begrenzt. Die Wrisilrhiobs waren nicht besonders schlau, aber ungemein kräftig. Sie konnten indes arglistig sein und hinterhältig, besonders die Frauen. Die männlichen Vertreter waren stets aggressiv und leicht bis zu rasender Wut reizbar. Ihr Geruchssinn war hoch entwickelt. Für ihresgleichen war er sogar enorm – so konnten sich W. in der Paarungszeit über 50 Meilen hinweg wittern. Auch hier setzte Lukather der Grausame auf die eigene Vermehrungsfähigkeit seiner Geschöpfe. Bei aller Bosheit aber waren die W. nicht unbedingt treu. Nicht wenige entkamen ihrer Aufsicht und rannten fort in die Wildnis, wo sie sich begrenzt vermehrten. Ihr bevorzugter Aufenthaltsort in Freiheit ist das bewaldete Gebirge. Sie sind direkte Nahrungsrivalen der Bären, die sie ihrerseits fürchten.
Ihre Waffen waren kleinere, umgeknickte Bäume, die sie als Keulen verwendeten, oder Findlinge, die sie schleuderten oder zu einfachen Steinhämmern und -äxten banden. Am gefährlichsten waren sie, wenn sie Blut witterten, das konnte sie in einen wahren Blutrausch versetzen.
In Caeredwaine hießen sie Wrisilrhiobin, im Hüggelland Wrisilrhiobs, dt. etwa „die Rasenden“. Hier waren sie längst zu Gestalten der Märchen geworden, von denen man sich erzählte, dass sie manchmal Reisende über die Berge trugen. Wozu fragte sich offenbar im Hüggelland niemand mehr. Die Wrisilrhiobin waren Allesfresser.
Lukather setzte die Wrisann im wesentlichen ein für die Belagerungen und Eroberungen der unterschiedlichen Gidwargimgruben.